„It’s complicated!“ Geschichts- und Erinnerungspolitik in feministischer Perspektive

"It’s complicated!“ Geschichts- und Erinnerungspolitik in feministischer Perspektive

Veranstalter
FEMINA POLITICA ZEITSCHRIFT FÜR FEMINISTISCHE POLITIKWISSENSCHAFT
PLZ
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Ort
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Land
Deutschland
Findet statt
Digital
Vom - Bis
30.04.2024 -
Deadline
01.01.2025
Von
Andrea Genest, Gedenkstätte Ravensbrück

„It’s complicated!“ Geschichts- und Erinnerungspolitik in feministischer Perspektive

Das Heft 1/Heft 1/2025 will sich der Geschichts- und Erinnerungspolitik in feministischer Perspektive widmen. Wir suchen Artikel, die nach staatlichen Politikstrategien ebenso wie gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen fragen.

„It’s complicated!“ History and Remembrance Politics from a Feminist Perspective

Issue 1/2025 is dedicated to the politics of history and remembrance from a feminist perspective. We are looking for articles that examine state policy strategies as well as social negotiation processes.

"It’s complicated!“ Geschichts- und Erinnerungspolitik in feministischer Perspektive

Geschichts- und Erinnerungspolitik sind Politikfelder, in denen es unter Bezug auf Vergangenes um die Legitimation gegenwärtiger Politiken und politischer Positionierungen geht – dies betrifft staatliche Politikstrategien ebenso wie gesellschaftliche Aushandlungsprozesse.

Die Relevanz dieses Feldes ist für feministische Politiken und Wissenschaft offensichtlich. So ist der Bezug auf historische, traditionelle Rollenbilder und vermeintlich natürliche binäre Geschlechterverhältnisse zentraler Bestandteil rechtsautoritärer, völkischer Diskurse. Der Bezug auf Geschichte und Erinnerung ist aber ebenfalls konstitutive Grundlage des Ringens um unterschiedliche Kontextualisierungen aktueller politischer Konflikte – etwa die Rolle des Gedenkens an die Shoah und die historischen Kontinuitäten rassistischer Ausgrenzungspolitik, in denen es immer auch um vergeschlechtlichte Zuschreibungen von Verantwortlichkeiten, geschlechtsspezifische Verfolgungen und (De-)Thematisierung sexualisierter Gewalt geht.
Über die legitimatorische Kraft in Bezug auf gegenwärtige politische Positionierungen und die Analyse aktueller Konflikte in ihrem historischen Entstehungsprozess hinaus zeigt sich aber auch immer wieder das enorme Mobilisierungspotenzial von Geschichte und Erinnerung.

Der Schwerpunkt der Femina Politica fragt nach geschlechtsspezifischen Ausprägungen von Geschichts- und Erinnerungspolitiken sowie feministischen Perspektiven auf die Thematisierung von Geschichte in (gesellschafts-)politischen Auseinandersetzungen. Auf welche Weise historische Ereignisse und Akteur:innen auch von feministischen Bewegungen als Sinnstiftung und Legitimation genutzt worden sind, welche Konflikte oder Leerstellen zu konstatieren sind, welche Narrative wirkmächtig werden, ist hier von Bedeutung. Welche in offiziellen historisch-politischen Narrativen verschwiegenen oder marginalisierten Personen, Ereignisse oder Geschichten, auf die sich etwa widerständige Traditionen gründen lassen, auf welche Archive überhaupt zurückgegriffen werden kann, ist ein weitere wichtiger Aspekt. Dies betrifft auch die Frage nach geschlechterdifferenten Strategien und Ausgrenzungen in Debatten um historische Schuld und Entschädigung, z. B. wenn es um die Frage von Restitutionen und die rechtliche Aufarbeitung und Entschädigung geschlechtsspezifischer Verfolgungen oder sexualisierter Gewalt geht.

Die Erinnerung an feministische Bewegungen und an feministische Kämpfe ist in heutigen Auseinandersetzungen für unterschiedliche Akteur:innen relevant, z. B. in den Auseinandersetzungen um körperliche und sexuelle Selbstbestimmung. Konflikte etwa um das Recht auf Abtreibung, selbstbestimmte Mutterschaft oder um Transition finden vor dem Hintergrund historischer Kämpfe und Rahmenbedingungen statt und sind jeweils auf unterschiedliche Weise von Ungleichheitsverhältnissen geprägt. Historische Kämpfe, in denen feministische Solidarisierungen über Differenzverhältnisse hinweg stattgefunden haben, werden für heutige Kämpfe um Solidarität neu thematisiert und teilweise wiederentdeckt, beispielsweise in Arbeitskämpfen.

Die historisch-politischen Verschränkungen von Sexismus, Klassismus, Rassismus sowie von Antisemitismus können auf der Ebene politischer Interessenkonflikte diskursiv polarisierend bzw. integrierend wirken und nicht zuletzt als Teil postkolonialer Theorietradition auch eine normierende Funktion haben. Insbesondere die Verschränkung und das Zusammenwirken dieser unterschiedlichen Ausgrenzungsformen bei oftmals selektiven, vermeintlich „unkomplizierten“ Geschichtsbezügen soll in den Blick genommen werden. Wie lassen sich intersektionale Ausgrenzungen erkennbar machen, wie lässt sich der Gefahr entgehen, sie gegeneinander auszuspielen und wie lassen sich ihre komplizierten Wirkungen in Bezug auf die Sinnstiftung und Legitimation feministischer Bewegungen fassen?

In diesem Schwerpunkt der Femina Politica sollen also die komplizierten, vergeschlechtlichten Prozesse der Deutung von Geschichte und Erinnerung in ihrer Funktion für derzeitige politische Strategien, Ein- und Ausgrenzungen, Positionen und/oder Akteur:innen in den Blick genommen werden. Ebenso kann die feministische Forschung zum Thema selbst kritisch und selbstreflexiv zum Gegenstand werden – wo reiben sich Erkenntnisse neuer Fragestellungen mit eingeübten Erklärungsmustern? Wie könnten feministische Geschichts- und Erinnerungspolitiken konzeptualisiert werden?
Willkommen sind theoretische, konzeptionelle und empirische Beiträge, historisch vergleichende wie transnationale Studien oder Case-Studies, die sich geografisch auf Deutschland, Europa oder globale Zusammenhänge beziehen können und sich auf folgende Fragenkomplexe beziehen:

Akteur:innen
- Welche Rolle spielen Frauen, Feminist:innen und feministische Bewegungen bei der Thematisierung von Geschichte in politischen Auseinandersetzungen? Lassen sich Entwicklungen und Konjunkturen feststellen?
- Auf welche Weise sind Frauen und andere geschlechtlich marginalisierten Gruppen in politisch-historischen Narrativen repräsentiert? Welche Akteur:innen feministischer
Geschichtspolitik lassen sich identifizieren und welche Bedeutung kommen Geschlechterperspektiven in der Geschichts- und Erinnerungspolitik zu?
- Welche Folgen hatten die Debatten der 1980er und 1990er Jahre um feministische
Geschichtspolitik in Bezug auf Nationalsozialismus, Antisemitismus und Täter:innenschaft? Wie wirken sie in heutigen Debatten nach?

Strategien
- Welche vergeschlechtlichten Strategien lassen sich in geschichtspolitischen Debatten identifizieren? Welche Diskurs- und Narrativkonstruktionen werden insbesondere von
rechtsautoritärem, populistischem Akteur:innen entworfen und verstärkt? Lassen sich Strategien des Verschweigens oder auch Gegenstrategien identifizieren?
- Welche Rolle kommt Heteronormativität und stereotypen Geschlechterbildern im Feld der Geschichts- und Erinnerungspolitik zu?
- Welche Rolle spielen geschichts- und erinnerungspolitischer Strategien, Diskurse und Bilder in den geschlechterpolitischen Debatten autoritärer Regime und post-diktatorischer
Gesellschaften? Welche qualitativen Unterschiede finden sich zwischen West- und Osteuropa bzw. den Staaten des Globalen Südens? Welche Auswirkungen gibt es, z. B.
in Gleichstellungs-, Familien- oder Antidiskriminierungspolitiken?

Konflikte
- Welche feministischen Auseinandersetzungen um die Bedeutung des kolonialen,
patriarchalen Erbes und vergeschlechtlichter postkolonialer Machtverhältnisse prägen
gegenwärtige Geschichtspolitiken (z. B. im Hinblick auf die Legitimation feministischer
Außenpolitik)?
- Wie lassen sich Thematisierung und De-Thematisierung geschlechterpolitisch relevanter
Vergangenheiten, vergeschlechtlichter öffentlicher Repräsentationen, kollektiver
Identitätsangebote und -konstruktionen sowie politisch-historischer Legitimität fassen? Auf welches archivarische Material kann zurückgegriffen werden?
- Wie können kritische (Selbst-)Reflexionen feministisch-postkolonialer Theorieansätze im Hinblick auf das Erstarken antisemitischer Stereotypisierungen, Reflexe und Gewalt
aussehen?
Beitragsvorschläge zu Aspekten, die im Call for Papers angesprochen werden, in diesen Fragen aber möglicherweise nicht erschöpfend aufgegriffen werden, sind ebenfalls willkommen!

Abstracts und Kontakt
Der Schwerpunkt wird inhaltlich von Andrea Genest und Silke Schneider betreut. Wir bitten um ein- bis zweiseitige Abstracts bis zum 31.05.2024 an genest@ravensbrueck.de und silke.schneider@hsbi.de oder an die Redaktionsadresse redaktion@femina-politica.de. Die Femina Politica versteht sich als intersektional feministische Fachzeitschrift. Sie fördert wissenschaftliche Arbeiten von Frauen und anderen geschlechtlich marginalisierten Personen (wie etwa trans, inter, nicht-binären oder geschlechternonkonformen Personen) in und außerhalb der Hochschule und lädt zum Einreichen inhaltlich qualifizierter Abstracts ein.

Abgabetermin der Beiträge
Die Schwerpunktverantwortlichen laden auf der Basis der eingereichten Abstracts bis zum 15. Juni 2024 zur Einreichung von Beiträgen ein. Der Abgabetermin für die fertigen, anonymisierten Beiträge im Umfang von 35.000 bis max. 40.000 Zeichen (inkl. Leerzeichen, Fußnoten und Literatur) ist der 15. September 2024. Die Angaben zu den Autor:innen dürfen ausschließlich auf dem Titelblatt erfolgen. Alle Manuskripte unterliegen einem double blind
Peer Review-Verfahren. Pro Beitrag gibt es ein externes Gutachten (double blind) und ein internes Gutachten durch ein Redaktionsmitglied. Ggf. kann ein drittes Gutachten eingeholt werden. Die Rückmeldung der Gutachten erfolgt bis spätestens 15. November 2024. Die endgültige Entscheidung über die Veröffentlichung des Beitrags wird durch die Redaktion auf Basis der Gutachten getroffen. Der Abgabetermin für die Endfassung des Beitrags ist der 1. Januar 2025.

"It’s complicated!“ History and Remembrance Politics from a Feminist Perspective

The politics of history and remembrance are fields in which the legitimation of current policiesand political positions is at stake with reference to the past – this applies to state political strategies as well as social negotiation processes.

The relevance of this field for feminist politics and scholarship is obvious. Thus, the reference to historical, traditional role models and supposedly natural binary gender relations are central components of right-wing authoritarian, ethnic discourses. However, the reference to history and remembrance is also the constitutive basis of the struggle for different contextualisations of current political conflicts – for example, the role of commemoration of the Shoah and the historical continuities of racist policies of exclusion, which are always entangled with gendered attributions of responsibility, gender-specific persecution and (de-)thematisation of sexualized violence. Beyond the legitimizing power in relation to current political positions and the analysis of current conflicts in their historical genesis, however, the enormous mobilising potential of history and remembrance is also obvious.
This focus of Femina Politica investigates gender-specific manifestations of history and remembrance policies as well as feminist perspectives on addressing the topic of history in (socio-)political debates. How historical events and prominent actors have been used by feminist movements to create meaning and legitimation, which conflicts or gaps can be identified, and which narratives become effective, are of interest here. Other important aspects are which individuals, events or stories are concealed or marginalized in official historical-political narratives, on which traditions resistance can be based, and which archives can be drawn on at all. This also applies to the question of gender-differentiated strategies and exclusions in debates about historical guilt and compensation, e.g. when it comes to the question of restitution and the legal reappraisal and compensation of gender-based persecution or sexualized violence.

The remembrance of feminist movements and feminist struggles is relevant for different political actors in today's debates, e.g. in the disputes about physical and sexual self determination. Conflicts over the right to abortion, self-determined motherhood, or transition, for example, take place against the backdrop of historical struggles and framework conditions, That are each shaped by inequality in different ways. Historical struggles, in which feminist solidarity have taken place across relations of difference, are re-thematized and partly rediscovered for today's struggles for solidarity, for example in labor disputes. The historical-political entanglements of sexism, classism, racism, and antisemitism can have a discursively polarizing or integrating effect on the level of political conflicts of interest and, not least as part of the postcolonial theoretical tradition, can also have a normative function. In particular, the interweaving and interaction of these different forms of exclusion in often selective, supposedly "uncomplicated" historical references is of interest. How can intersectional exclusions be identified, how can the danger of playing them off against each other be avoided, and how can their complicated effects be grasped in terms of the creation of meaning and legitimacy of feminist movements?
In this focus of Femina Politica, the complicated, gendered processes of interpreting history and remembrance in their function for current political strategies, inclusions and exclusions, positions and/or actors will be examined. Likewise, feminist research on the topic itself can become a critical and self-reflexive subject – where do findings of new questions rub up against well-rehearsed explanatory patterns? How could feminist politics of history and remembrance be conceptualized?

We welcome theoretical, conceptual, and empirical contributions, historically comparative as well as transnational studies or case studies that can relate geographically to Germany, Europe or global contexts and relate to the following sets of questions:

Actors
- What role do women, feminists and feminist movements play in addressing history in political debates? Is it possible to identify developments and cycles?
- In what ways are women and other gendered marginalized groups represented in political historical narratives? Which actors of feminist politics of history can be identified and what
significance do gender perspectives have in the politics of history and remembrance?
- What were the consequences of the debates of the 1980s and 1990s about feminist historical politics in relation to National Socialism, anti-Semitism and female perpetrators?

Strategies
- Which gendered strategies can be identified in historical-political debates? Which discursive and narrative constructions are designed and reinforced, especially by right wing authoritarian, populist actors? Is it possible to identify strategies of concealment or counter-strategies?
- What is the role of heteronormativity and stereotypical gender images in the field of history
and remembrance politics?
- What role do historical and remembrance strategies, discourses and images play in the
political debates on gender of authoritarian regimes and post-dictatorial societies? What
qualitative differences can be found between Western and Eastern Europe or the Global
South? What are the implications, e.g. inequality, family, or anti-discrimination policies?

Conflicts
- Which feminist debates about the meaning of the colonial, patriarchal legacy, and
gendered postcolonial power relations shape contemporary historical policies (e.g.
regarding the legitimacy of feminist foreign policy)?
- How can the thematization and de-thematization of gender-politically relevant pasts,
gendered public representations, collective identity offers and constructions, as well as
political-historical legitimacy be grasped? What archival material can be used?
- What can critical (self-)reflections of feminist-postcolonial theoretical approaches look like
regarding the strengthening of antisemitic stereotypes, reflexes, and violence?

Proposals for contributions on aspects that are addressed in the Call for Papers but may not be dealt with exhaustively in these questions are also welcome!

Abstracts and Contact
Andrea Genest and Silke Schneider are the Special Issue editors for this issue. Abstracts of one to two pages should be sent to genest@ravensbrueck.de and silke.schneider@hsbi.de or to redaktion@femina-politica.de by May 31, 2024. As an intersectional feminist journal Femina Politica supports scientific work by women and other gender-marginalized persons (such as trans, inter, non-binary or gender-nonconforming people) in and outside academia and invites the submission of content-qualified abstracts.
Submission Deadline for Contributions
The Special Issue editors select contributions based on abstract submissions and invite authors to submit full papers until June 15, 2024. The deadline for manuscripts of 35,000 to a
maximum of 40,000 characters (including spaces, footnotes, and bibliography), prepared for anonymous double-blind review, is September 15, 2024. Information concerning the author(s) should only be provided on the title page. All manuscripts are reviewed by external reviewers (double-blind) and by one journal editor. The reviews will be returned by November 15, 2024.
The final publication decision will be based on the full-length paper. The deadline for the final version is January 1, 2025.

Kontakt

Andrea Genest: genest@ravensbrueck.de
Silke Schneider: silke.schneider@hsbi.de
Redaktion: redaktion@femina-politica.de

https://femina-politica.de/